Frankfurt im Digitalen Schlaf – Wie die Kommunalpolitik den Digitalen Wandel verschläft

Veröffentlicht auf der Website der Frankfurter Rundschau am 17.04.2019.

Frankfurt am Main schneidet bei der Digitalisierung im Vergleich mit anderen Städten schlecht ab. Die meisten Studien und Städte-Rankings bescheinigen der Stadt bestenfalls durchschnittliche Rahmenbedingungen und Dienstleistungen. Die Mainmetropole ist nur Mittelmaß und hängt den Spitzenreitern Hamburg, München, Köln und Bonn deutlich hinter her. Im Europäischen Vergleich ist der Abstand noch grösser. Top Smart Cities wie Barcelona, Wien oder Tartu eilen davon. Dieser Rückstand hat hauptsächlich drei Gründe: eine fehlende Digitalisierungsstrategie, unzureichende Verwaltungsstrukturen und mangelnde politische Priorisierung des Themas.  

Die Stadt Frankfurt am Main hat keine Digitalisierungsstrategie, die Visionen, Ziele und Maßnahmen für die nächsten Jahre benennt. Die digitale Entwicklung der Stadt folgt keinem klaren Plan, sondern ist vielmehr ein Flickenteppich aus Initiativen verschiedener politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Akteure. Zwar verfügt Frankfurt seit neuestem über eine Stabstelle Digitalisierung, dessen Kernaufgabe die Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie ist. Allerdings muss dieser Prozess kritisch betrachtet werden, da Kernelemente einer Digitalisierungsstrategie nicht in die Zuständigkeit des verantwortlichen IT Dezernenten Jan Schneider (CDU) fallen: etwa E-Mobility und Smart Education, um nur zwei Beispiele zu nennen. Der IT Dezernent sollte Projekte im Bereich Bürgerbeteiligung, Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen sowie Modernisierung der IT-Infrastruktur der Verwaltung verantworten. Folglich zeugt die Umbenennung von Stabstelle E-Government auf Stabstelle Digitalisierung davon, zeugen aber davon, dass der IT Dezernent mehr an PR-Strohfeuern als an ernstgemeinter digitaler Transformation interessiert ist.

In Frankfurt fällt das Thema Digitalisierung in verschiedene Zuständigkeiten. Sechs Dezernate streiten sich um digitalisierungsrelevante Bereiche: Bau und Immobilien, Reformprojekte, Bürgerservice und IT, Verkehr, Wirtschaft, Sport, Sicherheit und Feuerwehr, Integration und Bildung und Planen und Wohnen und Personal und Gesundheit. Die Stadt verfügt über keinen zentralen Ansprechpartner, etwa in Form eines Chief Digital Officer. 

Da jeder Dezernent über eigene Zuständigkeiten und Kompetenzen verfügt, kann die Zusammenarbeit nur projektbasiert und zwischen verschiedenen Abteilungen und Ämtern stattfinden. So geht beispielsweise die Bereitstellung von freiem WLAN für städtische Museen und Kultureinrichtungen auf die Initiative der Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD) zurück. Für die Umsetzung ist allerdings die Kooperation mit Jan Schneider notwendig. Dass eine solche Zusammenarbeit nicht immer reibungslos verläuft, wird am Beispiel „WLAN an Schulen“ deutlich. Erst nach monatelangem Streit hat sich die Römer-Koalition aus CDU, SPD und Grünen auf ein Konzept für die digitale Infrastruktur an Frankfurter Schulen geeinigt.  Das Fehlen klarer Zuständigkeiten bei digitalisierungsrelevanten Themen führt zu Kompetenzgerangel, das kostbare Zeit kostet und Frankfurt die Digitalisierung verschlafen lässt. 

Ähnlich ernüchternd ist die Lage im Stadtparlament. Zwar hat die Zahl der Vorlagen mit Bezug zur Digitalisierung in dieser Legislaturperiode zugenommen. Dennoch sind diese Impulse noch relativ überschaubar. Keiner der elf Fachausschüsse der Stadtverordnetenversammlung widmet sich explizit dem Thema Digitalisierung in Frankfurt. Wichtige Entscheidungen und Projekte werden schlicht nicht auf Digitalisierungs-relevante Aspekte abgeklopft.

Die Kommunalpolitik muss dies als Chance begreifen, Frankfurt aus dem Digitalen Schlaf zu erwecken. Um den Digitalen Wandel bürgernah zu gestalten, benötigt die Mainmetropole zwei grundlegende Säulen:  eine Digitalisierungsstrategie sowie einen Chief Digital Officer. Die Digitalisierungsstrategie darf nicht mehr wie ein technokratisches top-down Projekt betrieben werden. Sie muss in einem breiten, demokratischen Prozess entstehen. Erst eine intensive Bürgerbeteiligung gestaltet die digitale Veränderung der Stadt inklusiv und verleiht ihr die dringend benötigte gesellschaftliche Legitimität. Es geht im Kern darum, das Wissen der Frankfurter Stadtgesellschaft zu mobilisieren und in die Entscheidungsfindung der Stadtverordnetenversammlung miteinfließen zu lassen.

Um diesen Prozess zu organisieren und die entstehende Strategie auf- und umzusetzen, bedarf es einen koordinierenden Chief Digital Officer. Interdisziplinäre Arbeits- und Denkweisen sind essentiell, da die Digitalisierung sich auf alle erdenklichen Themenbereiche der Stadt erstreckt. Er soll erster Ansprechpartner für digitalisierungsrelevante Themen sein und Digitalisierungsprozesse voranbringen und koordinieren. Ausgestattet mit diesen Kompetenzen, kann er die Stadt Frankfurt aus dem Schlaf der Digitalisierung wecken und das unglaubliche Potential ihrer Bürgerschaft nutzen.