Im Interview mit der Frankfurter Rundschau: “Ein Gas-Embargo wäre fahrlässig“

Dieses Interview erschien am 18.05.22 in der Frankfurter Rundschau.

Der Frankfurter Bundestagsabgeordnete Armand Zorn spricht im Interview mit der FR über Entscheidungen über Krieg und Frieden, das 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr und Fehler in der Russlandpolitik.

Herr Zorn, hätten Sie sich vorstellen können, im Bundestag derart weitreichende Entscheidungen treffen zu müssen, wie Sie jetzt seit Monaten wegen des Krieges Russlands gegen die Ukraine anstehen?

Mir war natürlich klar, dass ich als Bundestagsabgeordneter weitreichende Entscheidungen treffen werde und muss. Aber ich hätte nicht gedacht, dass es um Krieg und Frieden in Europa gehen wird.

Wie war es für Sie, im Bundestag für die Lieferung schwerer Kriegswaffen in die Ukraine zu stimmen?

Das sind Entscheidungen, die man gut abwägen muss und bei denen es stark auf den Kontext ankommt. Wir haben viele jahrelange Prinzipien über Bord geworfen. Aber ich halte die Entscheidung angesichts der aktuellen Situation in der Ukraine für verhältnismäßig und gerechtfertigt. Es ist wichtig, dass wir die Ukraine auch militärisch unterstützen. Sie braucht die nötige Ausstattung, um sich gegen Russland verteidigen zu können. Deshalb habe ich zugestimmt und stehe hinter dieser kollektiven Entscheidung.

Haben Sie in den vergangenen Wochen eigene außenpolitische Vorstellungen revidieren müssen?

Ehrlich gesagt ja. Wir sind davon ausgegangen, dass man mit Verhandlungen und mit wirtschaftlichen Verflechtungen auf autokratische Staaten einwirken und Stabilität und Verbesserungen erreichen kann. Am 24. Februar aufzuwachen, um festzustellen, dass der russische Präsident einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, war für mich ein Schock. Nun müssen wir unsere Außen- und Sicherheitspolitik der vergangenen Jahre intensiv überdenken und neu ausrichten. Damit haben wir schon angefangen. Das wird aber ein jahrelanger Prozess.

Die langjährige Russlandpolitik der Bundesregierung ist also gescheitert?

Nicht nur die der Bundesregierung. Natürlich war klar, dass Putin kein Demokrat ist, sondern jemand, der mit eiserner Hand sein Land regiert. Der grundsätzliche Ansatz, im Dialog zu bleiben, aber zugleich immer wieder die Menschenrechtsverletzungen in Russland zu thematisieren, war nicht so falsch. Nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 hätte man, finde ich, aber deutlicher und anders reagieren müssen.

Wie weit die Unterstützung der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland gehen sollten, ist auch in der SPD umstritten. Es gibt nicht zuletzt die Sorge, dass Deutschland Kriegspartei werden könnte.

Dass es in der SPD einen Konflikt über diese Frage gibt, entspricht nicht meiner Wahrnehmung. Der allergrößte Teil meiner Partei hält den Kurs der Bundesregierung für richtig. In der Tat ist es aber sehr wichtig, weitere Schritte sehr gut abzuwägen. Diese dürfen nicht zu einer Ausweitung des Krieges beitragen. Wir haben auch die Verantwortung, das deutsche Volk zu schützen. Ich habe den Eindruck, dass es auch in Frankfurt, in meinem Wahlkreis, geschätzt wird, dass wir uns solidarisch mit der Ukraine zeigen, dass wir versuchen, die Geflüchteten gut aufzunehmen, aber auch versuchen, mit Bedacht vorzugehen.

Bei den DGB-Kundgebungen zum 1. Mai hieß es in vielen Reden, 100 Milliarden Euro seien in vielen Bereichen deutlich besser angelegt als in Waffen, etwa für Pflege und Bildung. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

Dass wir 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zu Verfügung stellen, heißt nicht, dass für anderes kein Geld mehr da ist. Der Weg über ein Sondervermögen wurde bewusst gewählt, damit wir alle Projekte, die wir vereinbart haben, etwa für mehr soziale Gerechtigkeit, eine sozialökologische Wende oder im Bereich Digitalisierung, trotzdem umsetzen können.

Trotzdem könnte es bald heißen, für andere wichtige Aufgaben, etwa im sozialen Bereich, sei kein Geld da. Viele befürchten bereits entsprechende Einschnitte.

Die Gefahr sehe ich nicht. Im sozialen Bereich zu sparen, wäre nach meiner Ansicht auch völlig falsch. Wenn wir für mehr Sicherheit sorgen wollen, müssen wir auch stärker gegen die soziale Spaltung in Deutschland vorgehen. Eine gespaltene Gesellschaft bietet Nährboden für Extremismus, für Desinformation aus Russland und anderen Ländern.

Wie stark spüren Sie die Auswirkungen des Kriegs in Ihrem Wahlkreis?

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die daraus resultierenden Folgen sind natürlich auch bei meiner jüngsten Wahlkreistour ein sehr großes Thema gewesen. Da ging es etwa um die Aufnahme von Geflüchteten und die Frage, wie man diesen bei einer möglichst schnellen Integration in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt helfen kann. Es ging aber auch um die Inflation und gestiegene Preise. Gerade darauf sprechen mich sehr viele Menschen an. Die Bundesregierung hat mit den verschiedenen Entlastungspaketen einiges auf den Weg gebracht, um die Situation etwas zu entschärfen.

Der Frankfurter Westen ist stark von den Fabriken im Industriepark Höchst geprägt, die sehr abhängig von günstiger Energie sind. IHK und Unternehmerverbände warnen massiv vor einer weiteren Zuspitzung der Energiekrise. Wie sehen Sie das?

Ich hielte, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, ein Gasembargo gegen Russland für fahrlässig. Sanktionen verfehlen ihr Ziel, wenn sie das Land, das die Sanktionen verhängt, also Deutschland und die EU, schwerer treffen als das Land, das sie schwächen sollen. Wir müssen doch die Realität anerkennen: Wir sind im Bereich Energie noch abhängig von Russland. Ein Gasembargo hätte deshalb schwere Folgen für die Wirtschaft. Es könnten viele Arbeitsplätze verloren gehen. Die überwältigende Mehrheit der Deutschen zeigt sich solidarisch mit der Ukraine und den Menschen, die von dort hierher geflüchtet sind. Unsere Verantwortung als Bundestagsabgeordnete ist es, dass das auch so bleibt.

Das Interview führte: Christoph Manus