Porträt im Tagesspiegel

Dieser Artikel erschien am 20.10.2022 im Tagesspiegel und wurde verfasst von Thomas Wendel.

Mit dem Unternehmensberater Armand Zorn haben die Sozialdemokraten im Bundestag jemanden, der sie in der Diskussion um nachhaltige Finanzen nach längerer Pause wieder sichtbar macht. Wie praktisch, dass der Jungparlamentarier ausgerechnet den Wahlkreis 182 Frankfurt-West mit seinem Bankenzentrum in Berlin vertritt.

Manche im Bundestag müssen sich noch an seinen Vornamen gewöhnen: Armand. Das werde französisch „Armoh“ ausgesprochen, erklärt Armand Zorn vor Beginn seiner Rede am 23. Juni freundlich im Flüsterton der grünen Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. Die hatte den hochgewachsenen, durchtrainiert aussehenden neuen Kollegen da gerade als nächsten Debattensprecher im Reichstagsgebäude in zackig deutscher Aussprache angekündigt. Göring-Eckardt bedankt sich und verspricht: „Ich übe das.“ 

Das werden zweifellos auch andere tun: Armand Zorn ist eine Ausnahmeerscheinung. Er ist jung – erst kürzlich feierte er seinen 34. Geburtstag. Er ist eloquent, kennt sich mit Finanzen aus, mit Digitalisierung, ist ein harter Arbeiter und obendrein ein jovialer Gesprächspartner, der trotz oder gerade wegen seiner langen Arbeitstage gerne lacht. Er ist blitzgescheit, wozu auch gehört, zu wissen, nicht alles gleich und auf einmal wissen zu können, und das auch sofort zu sagen. Und er dürfte wohl einen der interessantesten Lebensläufe aller Bundestagsabgeordneten haben. 

„Bunesen, go together“ 

Geboren ist Armand Zorn nämlich in Yaoundé, Hauptstadt des westafrikanischen Küstenstaates Kamerun. In Douala, der mit fast drei Millionen Einwohnern größten Stadt des Landes, ist er als Sohn eines aus Leipzig stammenden deutschen Mediziners und seiner kamerunischen Frau aufwachsen, die ebenfalls Ärztin ist. „Mit Zwölf bin ich nach Halle gekommen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen“, erzählt Zorn in seinem in gediegenen Erdtönen gehaltenen neuen Bundestagsbüro am Spreebogen in Berlin, von dem damals für ihn abrupten Umzug der Familie nach Deutschland. Durch das offene Fenster ist da gerade wieder das blecherne Rattern der S-Bahnen zu hören, die wenige Meter hinter dem Gebäude über die Spreebrücke Richtung Berliner Hauptbahnhof fahren. 

Halle/Saale im Jahr 2000. Das war eine prägende Zeit für Armand Zorn, auch, weil man ihm seine afrikanische Herkunft ansieht. Doch anders, als man es vielleicht erwarten würde, erzählt Zorn nicht von Rassismus in Sachsen-Anhalt, sondern von einem persönlichen „Umbruch“, bei dem er gemerkt habe, dass „Integration gelingen kann, wenn man gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht“. „Ich hatte Glück, dass ich ein Elternhaus hatte, das mir alles gab, was ich brauchte. In dem es selbstverständlich war, dass ich Deutsch lernte und dass ich mich umschaute in meiner neuen Umgebung, um zu verstehen, was passiert.“ Und passiert ist ziemlich schnell ziemlich viel: Schon bald trainiert der jugendliche Neu-Hallenser Armand die Kinderfußballmannschaft seines Vereins SG Buna Halle. Ein Bild seines Teams hat Zorn auf seine Webseite gestellt. „Bunesen, go together“, steht darunter. 

Wirtschaftsrecht in Sichuan 

Den Bunesen Zorn hält es allerdings nicht allzu lange bei Buna. Er studiert. Zunächst noch vor Ort, an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dann aber bald in Paris an der Eliteuniversität Sciences Po. Und in Konstanz, wo er seinen Master in Politik- und Verwaltungswissenschaft macht. Danach zieht es ihn wieder nach Paris, wo er vorübergehend in der französischen Nationalversammlung arbeitet. 

In Bologna erwirbt er an der Dependance der US-Hochschule Johns Hopkins University School of Advanced International Studies ein Diplom in Volkswirtschaftslehre, in Chinas mit 32 Millionen Einwohnern größter Stadt Chongqing in Sichuan absolviert er an der Southwest University of Political Science and Law einen Auslandsaufenthalt im Rahmen seines Masterstudiums in Wirtschaftsrecht an der Uni Halle- Wittenberg. Danach, erzählt er, habe er „über alle Branchen hinweg, von Pharma- bis Automobilindustrie“ als Berater Unternehmen beim Risikomanagement und bei der Entwicklung von Digitalisierungsstrategien und ihrer Umsetzung unterstützt. Zuletzt, bis zu seinem Bundestagseinzug im vergangenen Herbst, war Zorn für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) der Bundesregierung tätig. Als Leiter für digitale Transformationsprojekte sowie wirtschaftliche Nachhaltigkeit. 

Irgendwann in dieser Zeit, als er viel im Ausland gewesen ist, habe er sich dann gefragt, wie es weitergehen solle mit ihm, erzählt er. Und er habe „überrascht festgestellt, dass ich doch wieder gerne zurück nach Deutschland kommen möchte“, so Zorn. „Ich habe mich für Frankfurt entschieden, weil ich das aus meiner Tätigkeit schon kannte und es mir sympathisch war. Hinzu kam: die exzellenten Verkehrsverbindungen der Stadt.“ Und auch seine damalige Freundin, die in Frankfurt lebte. 

„Kohärente Politik“ bei Querschnittsthemen 

Schon in Halle, seit 2009, habe er sich in der SPD engagiert, in die er dann 2011 auch offiziell eingetreten sei, erzählt Zorn. In seiner neuen Wahlheimat machte er weiter: 2017 wird er zum stellvertretenden Bezirksvorsitzenden Hessen-Süd der Parteijugend Jungsozialisten gewählt, seit 2019 ist er Vorstandsmitglied der SPD in Frankfurt am Main und kümmert sich dort, passend zu seinem Beruf, um Wirtschaftspolitik und digitale Transformation. 

So einen können die Sozialdemokraten in einer Stadt wie Frankfurt gut gebrauchen: Jemand, der zum einen den Mindestlohn erhöhen möchte, zum anderen sich mit Digitalem auskennt, mit Steuern, mit Wirtschaft und vehement für eine Modernisierung und zusätzliches Geld für die Schulen einsetzt. Das zieht im Wirtschaftszentrum Rhein-Main, in der Bankenstadt, die früher einmal – Sozialdemokraten haben es nicht vergessen – das „rote Frankfurt“ hieß. Zorn wurde 2021 SPD-Bundestagskandidat. Und gewann seinen Wahlkreis mit 29 Prozent – deutlich mehr, als die Sozialdemokraten mit 22,6 Prozent an Zweitstimmen zusammengebracht haben. 

In Berlin angekommen, stopft er mit seiner ebenfalls aus Rhein-Main kommenden Parlamentskollegin Melanie Wegling eine inhaltliche Lücke, die von den Sozialdemokraten im Bundestag bisher eher wenig ausgefüllt worden war: Sustainable Finance. Er sitzt im Bundestags-Finanzausschuss, kümmert sich dort auch um Steuerpolitik, betreut zudem für die SPD im Digitalausschuss den Bereich Nachhaltigkeit. Und er ist Mitglied im Beirat für nachhaltige Entwicklung. 

Digitales und nachhaltige Finanzen – das seien „Querschnittsthemen“, sagt Zorn. Und beide sind kompliziert. Ihm gehe es darum, Aufgabenfelder übergreifend „kohärente Politik“ zu machen, erklärt er. Und das gilt selbst schon zwischen seinen eigenen Querschnittsthemen. „Wie müssen wir die Rahmenbedingungen in der Finanzpolitik setzen, um mehr Finanzströme in nachhaltige Vorhaben zu lenken?“, lautet eine der Fragen, die er vom Bundestag beantwortet sehen will. Und: „Welche steuerpolitischen Anreize können wir setzen, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen?“ 

Caffè Latte als Steuersache 

Das Wort Steuern, hat er unlängst im Bundestagsplenum gesagt, komme vom Verb „steuern“. Und vom Rednerpult im Reichstagsgebäude erklärt er anschließend seinen Parlamentskollegen, warum man vom „Steuern“ bei der Mehrwertsteuer nicht mehr reden könne: Wenn er im Café eine Tasse Kaffee trinke, erklärt er, werde darauf 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig. Wenn er einen Caffè Latte „auf die Hand“ mitnehme, würden hingegen nur sieben Prozent fällig werden, weil es sich um ein begünstigtes Milchmischgetränk mit dem Grundbedarfslebensmittel Kuhmilch handele. Würde er aber Mandelmilch bevorzugen, würde der Latte mit 19 Prozent besteuert werden. Ähnlich verhalte es sich mit anderen Waren: Wer Babynahrung kaufe, zahle 19 Prozent, für Katzenfutter würden nur sieben Prozent fällig. „Das ist unübersichtlich, nicht schlüssig. Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz!“, fordert er. 

„Wir können über Mehrwertsteuersätze eine Lenkungswirkung haben“, sagt er dazu in seinem Büro im Gespräch mit Tagesspiegel Background. „Nachhaltige oder regionale Produkte sollten einen niedrigeren Steuersatz haben als zum Beispiel Fertigprodukte mit hohem Zuckeranteil.“ 

Silodenken möchte er auch bei Sustainable Finance nicht zulassen. Jaja, es stimme schon, das Ziel, möglichst viel öffentliches und privates Geld in klimafreundliche Investitionen zu lenken, „stellt keiner mehr in Frage“. Dazu gehöre dann aber auch, den vielen mittelständischen Unternehmen und den Banken mehr praktisch unter die Arme zu greifen. „Wenn früher einmal ein Formular zu einem Firmenkredit drei Seiten umfasste, ist das heute mit den ESG-Kriterien definitiv länger.“ Da führe kein Weg darum herum. Deshalb müsse der Staat „mehr Guidance“ geben, etwa über leichtverständliche Informationsschreiben des Finanzministeriums oder über Musterschreiben, fordert Zorn. „Die Linie ist klar. Jetzt geht es darum, bei der Umsetzung dafür zu sorgen, so wenig wie möglich Spielraum für individuelle Einschätzungen“ – und damit für Unsicherheiten – zu lassen, erklärt er. 

Lobende Worte 

Gegen Silos wehrt er sich auch, wenn es um die EU-Taxonomie nachhaltiger Geschäftstätigkeiten geht. „Türöffner sind ökologische Aspekte“, sagt Zorn. Aber „soziale Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Nachhaltigkeit – also Geschäftsmodelle, die Wertschöpfung kreieren und ökonomisch dauerhaft tragfähig sind – gehören auch dazu und bedingen einander“. 

Zorns Arbeit verschafft ihm inzwischen auch Respekt in anderen Parteien. Bei den Grünen im Bundestag, die viel Expertise in Sachen nachhaltige Finanzen aufgebaut haben, lobt eine Führungsperson den Kollegen von der SPD: „Der macht viel“, sagt sie anerkennend. 

Zuhause in Frankfurt, bei seinen Wählern, weiß Zorn, müsse er das Thema nachhaltige Finanzen herunterbrechen, um damit wahrgenommen zu werden. Wenn er mit seinen Parteigenossen zum Beispiel über „ethische Standards“, „sozialen Schutz“ oder das Lieferkettengesetz rede, dann „entflammt das viele Sozialdemokraten“. 

Einmal im Quartal, „mindestens für eine Woche“, sei er auf Wahlkreistour. Dann steht Armand Zorn irgendwo auf Wochenmärkten in Bockenheim oder am U-Bahnhof Eschersheimer Tor in Frankfurt an einem eigens aufgebauten Stand auch für längere Gespräche zur Verfügung. 30 Leute kämen im Schnitt, um mit ihm zu diskutieren oder einfach nur eine Tasse Kaffee zu trinken. Im Sommer hat er auch schon einmal Jugendliche und junge Erwachsene zum Pizzaessen und Diskutieren auf eine Wiese in Frankfurts Grüneburgpark eingeladen. Und Hausbesuche mache er auch, sagt Zorn. Das käme alles „erstaunlich gut an“. 

Schwierigkeiten mit dem „Stöffche“ 

Wo er allerdings selbst noch nicht ganz so angekommen ist in seiner Wahlheimat: bei Frankfurts Nationalgetränk, dem „Ebbelwoi“. Zorn verzieht den Mund, wenn er auf das zumeist saure „Stöffche“ vom Main angesprochen wird, und bekennt, dass ihm für den in rustikalen Tonkrügen gereichten Apfelwein noch die wirkliche Leidenschaft fehle. Aber das kann sich ja noch ändern. In seinem Alter von 34 Jahren jedenfalls hat Armand Zorn noch jede Menge Zeit zur Klimaanpassung im Kulturbiotop.  

Thomas Wendel 

Wie nachhaltig legen Sie Ihren persönlichen Spargroschen an? 

In Form einer Investition in einer Immobilie. 

Wer in der Finanzwelt hat Sie beeindruckt? 

Mario Draghi. Er hat als EZB-Präsident wesentlich zur Rettung des Euros und zum Erhalt der Europäischen Union beigetragen. 

Ist eine nachhaltige Wirtschaft möglich, solange Wachstum oberstes Ziel ist? 

Ja, allerdings nur wenn die zugrundeliegende Definition, Erfassung und Messung von Wachstum und Vermögen erweitert wird und explizit negative Externalitäten internalisiert werden. 

Wenn Sie Finanzminister oder Zentralbankchef wären, was würden Sie ändern? 

Angesichts der multiplen Krisen würde ich als Finanzminister für mehr Zielgenauigkeit bei den konsumtiven Ausgaben und für mehr Wumms bei den investiven Ausgaben sorgen. Mithilfe einer Investitionsprämie in Form einer Super-Abschreibung würde ich die sozial-ökologische und digitale Transformation der deutschen Wirtschaft vorantreiben. Auf europäischer und globaler Ebene würde ich mich noch mehr für verbindliche und glaubwürdige Standards im Bereich nachhaltige Finanzen einsetzen.